In der französischen Küche dreht sich vieles um Klassiker – um Estragon, Thymian, Rosmarin. Doch wer tiefer gräbt, stößt auf eine andere, fast verschüttete Schicht: die Kräuter, die nicht im Kochbuch stehen, sondern in der Erinnerung. Sie wuchsen an Feldrändern, in Klostergärten, zwischen Steinen alter Bauernhöfe – und gaben regionalen Gerichten genau das, was heute oft fehlt: Seele.
Diese Pflanzen waren kein Beiwerk. Sie waren das, was Gerichte an ihren Ort band. An ein Klima, an eine Jahreszeit, an eine Art zu leben – bevor Gewürze global, Küchen standardisiert und Aromen glattgebügelt wurden.
Von Bohnenkraut bis Pimpernelle – würzige Regionalität
Im Süden Frankreichs, dort wo Lavendel blüht und die Luft nach Kräutern duftet, spielte Sarriette (Bohnenkraut) eine wichtige Rolle. Es verlieh Linseneintöpfen, Schmorgerichten oder fettem Schafskäse eine fast pfeffrige Schärfe. Wer damals keinen Pfeffer hatte – und das war oft der Fall –, nutzte Sarriette. Noch heute hängt es in manchen provenzalischen Küchen zum Trocknen an Holzbalken, neben Rosmarin und Knoblauch.
Weiter nördlich, etwa in der Franche-Comté, war die Pimpernelle (Pimprenelle) eine stille Größe. Ihr feines Gurkenaroma passte zu Frischkäse, zu Salaten oder in Quarksaucen. Sie war kein Star, aber ein Stimmungsgeber – wie ein Hintergrundinstrument, das man nur merkt, wenn es fehlt.
Was früher ganz selbstverständlich war
Viele dieser Kräuter findet man heute nicht im Supermarkt – nicht einmal auf Wochenmärkten. Sie existieren eher in Gärten älterer Menschen oder auf wild wachsenden Wiesen. Oder in Rezepten, die niemand mehr nachkocht, weil sie zu schlicht scheinen.
Ein Beispiel ist Muskat-Kerbel (Cerfeuil musqué). Er riecht leicht nach Anis, schmeckt süßlich und wurde früher zum Süßen von Rhabarber oder Äpfeln verwendet – als es noch keinen weißen Zucker in jedem Haushalt gab. Auch in Milch gekocht, um Pudding zu aromatisieren, war er beliebt.
Oder Hysope (Ysop) – kräftig, harzig, fast mentholig. In kleinen Dörfern im Süden wurde er zum Würzen von Eintöpfen, manchmal auch zum Ansetzen von Hauslikören verwendet. Ein Hauch davon reichte. Zu viel – und alles schmeckte nach Apotheke.
Vier alte Kräuter, die du (wieder) probieren solltest
Hier ein kleiner Leitfaden für deinen Kräuterbalkon oder deine Küche:
- Sarriette: Ideal zu Hülsenfrüchten, Kartoffeln oder Grillgemüse.
- Pimprenelle: Roh in Dips oder über Frischkäse – nie mitkochen!
- Cerfeuil musqué: In Milch einlegen oder über süße Früchte streuen.
- Hysope: Sparsam verwenden – etwa in Butter oder über Wurzelgemüse.
Diese Kräuter verlangen Fingerspitzengefühl – wer sie zu dosieren weiß, wird belohnt.
Warum sich der Blick zurück lohnt
In einer Welt voller Currys, Chilis und mediterraner Mischungen scheint der Rückgriff auf „einfache“ Kräuter altmodisch. Aber gerade sie erzählen vom Lokalen, vom Unverwechselbaren, vom langsamen Kochen.
Mit Sarriette zu würzen bedeutet, so zu denken wie eine Bauersfrau aus der Provence: mit dem, was da ist, etwas Gutes machen. Pimprenelle ins Essen zu streuen, heißt: dem Grün eine Stimme geben, nicht nur der Sauce.
Diese Kräuter bringen keine Wucht – sondern Haltung. Und sie bringen etwas zurück, das uns manchmal fehlt: das Gefühl, dass Geschmack mit Herkunft zu tun hat, nicht mit Mode.